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31.10.2022

Grundformen der Angst (Fritz Riemann)

„Angst gehört unvermeidlich zu unserem Leben. In immer neuen Abwandlungen begleitet sie uns von der Geburt bis zum Tode. Die Geschichte der Menschheit läßt immer neue Versuche erkennen, Angst zu bewältigen, zu ver-mindern, zu überwinden oder zu binden sie gehört zu unserer Existenz und ist eine Spiegelung unserer Abhängigkeiten und des Wissens um unsere Sterblichkeit.
Wir können nur versuchen, Gegenkräfte gegen sie zu entwickeln: Mut, Vertrauen, Erkenntnis, Macht, Hoffnung, Demut, Glaube und Liebe. Diese können uns helfen, Angst anzunehmen, uns mit ihr auseinanderzusetzen, sie immer wieder neu zu besiegen. Methoden, welcher Art auch immer, die uns Angstfreiheit versprechen, sollten wir mit Skepsis betrachten; sie werden der Wirklichkeit menschlichen Seins nicht gerecht und erwecken illusorische Erwartungen.“
Fritz Riemann (1975)

Schizoide Persönlichkeiten (Hingabe)
Die Hauptangst eines Menschen mit einer schizoiden Persönlichkeitsstruktur sei, so Riemann, die Angst vor der Hingabe. Sie sei verknüpft mit dem Impuls zur „Selbstbewahrung und Ich-Abgrenzung“.

Angst und Impuls würden „überwertig“, wenn das Schizoide sich in einer Weise entwickelt habe, dass es die Persönlichkeit beherrsche. Menschen mit einer solchen Struktur mieden Nähe und Bindung an andere Menschen, seien ichbezogen und strebten nach Individuation und größtmöglicher Unabhängigkeit bis hin zur Autarkie.

„Sein Streben wird vor allem dahin gehen, so unabhängig und autark wie möglich zu werden. Auf niemanden angewiesen zu sein, niemanden zu brauchen, niemandem verpflichtet zu sein, ist ihm entscheidend wichtig.“
Fritz Riemann (1975)

Depressive Persönlichkeiten (Selbstwerdung)
Gegenspieler der schizoiden Struktur sind nach Riemann depressive Persönlichkeiten. Ihre Hauptangst ist, selbständig zu werden – Riemann nannte es unter anderem Ich-Werdung – und damit verbunden die Angst vor dem Verlust von Geborgenheit. Eigenständigkeit zu erwerben, setzt einen Entwicklungsschritt voraus, der mit Trennung verbunden ist, und diese Trennung vermeiden Menschen mit einer depressiven Persönlichkeitsstruktur. Der damit verknüpfte Impuls strebt danach, das eigene Ich aufzugeben und ganz im Anderen aufzugehen. Er wird gebraucht, um sich sicher fühlen zu können. Ein Mensch mit depressiver Struktur versucht, der Angst dadurch zu entkommen, dass er sich in Abhängigkeit begibt und auf Freiheit verzichtet, die er auch seinem Gegenüber nicht zugestehen kann.

„Bewußt ist ihm dabei höchstens die Verlustangst, die Angst vor der Individuation, die das eigentliche Problem ist, bleibt weitgehend unbewußt.“
Fritz Riemann (1975)

Zwanghafte Persönlichkeiten (Veränderung)
Die „Sehnsucht nach Dauer“ sei allen Menschen grundsätzlich eigen. Wenn auch nicht hinreichend, so wäre Verlässlichkeit doch notwendige Bedingung zur Entwicklung von Hoffnung und Vertrauen. Auf diesem Hintergrund beschrieb Riemann die dritte Grundform der Angst, die zwanghafte Persönlichkeiten insbesondere durch die Angst vor Vergänglichkeit und auf der „Impulsseite“ durch ein Streben nach Dauer und Sicherheit auszeichne – beides ggf. „überwertig“. Ein Mensch mit zwanghafter Struktur wolle unbedingt alles beim Alten belassen, vermeide jede Veränderung und bekämpfe sie, wenn möglich:

„Er wendet sich gegen Neuerungen, wo sie ihm begegnen, was aber immer mehr zu einer Sisyphusarbeit wird, denn das Leben ist immer im Fluß, alles ist in fortwährender Wandlung begriffen, «alles fließt» in immerwährendem Entstehen und Vergehen, das sich nicht aufhalten läßt.“
Fritz Riemann (1975)

Hysterische Persönlichkeiten (Notwendigkeit)
Gegenspieler der zwanghaften sind hysterische Persönlichkeiten. Sie erfreuen sich, wie Riemann es nannte, an dem „Zauber des Neuen“, suchen das Risiko, streben nach Freiheit und Veränderung und haben besondere Freude daran, Unbekanntes zu entdecken. Wird dieses Streben überwertig, stellen sich Angst vor Endgültigkeit und Unausweichlichkeit, vor Notwendigkeiten und Begrenztheit ein. Charakteristisch für diese Persönlichkeiten ist ein „kurzer Spannungsbogen“.

„Jeder Impuls, jeder Wunsch muss möglichst sofort befriedigt werden, weil Warten unerträglich ist. Darin liegt ihre große Verführbarkeit – sie können Versuchungen schwer widerstehen.“
Fritz Riemann (1975

Fazit
Hinter den vier Grundformen der Angst stehen allgemein-menschliche Probleme, mit denen wir alle uns ausein-andersetzen müssen.

Jedem von uns begegnet die Angst vor der Hingabe in einer ihrer verschiedenen Formen, die als Gemeinsames das Gefühl der Bedrohtheit unserer Existenz, unseres persönlichen Lebensraumes, oder der Integrität unserer Persönlichkeit haben.

Denn jedes vertrauende sich Öffnen, jede Zuneigung und Liebe, kann uns gefährden, weil wir dann ungeschützter und verwundbarer sind, etwas von uns selbst aufgeben müssen, uns einem anderen ein Stück ausliefern. Daher ist alle Angst vor der Hingabe verbunden mit der Angst vor einem möglichen Ich-Verlust.



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